Carbene gehören zu den am besten untersuchten reaktiven Spezies in der organischen Chemie. Als gemeinsames charakteristisches Strukturmerkmal enthalten alle Carbene ein zweibindiges Kohlenstoffatom mit einem Elektronensextett, wodurch sie sich in ihrer Reaktivität stark von Verbindungen mit vierbindigem Kohlenstoff unterscheiden. Erste Hinweise auf die Existenz von Carbenen finden sich bereits Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Untersuchungen von Curtius et al. und Staudinger et al.1 Aufgrund ihrer Reaktivität konnten sie jedoch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts nicht isoliert werden und wurden für instabile Intermediate gehalten. Genauere Erkenntnisse brachten Untersuchungen zur Reaktivität von Dihalogencarbenen, bei denen unter anderem erkannt wurde, dass Carbene in zwei unterschiedlichen elektronischen Zuständen vorliegen können.
Singulett- (1A1) und Triplettzustand (3B1) unterscheiden sich stark hinsichtlich Struktur und Reaktivität. Für das einfachste Carben, das Methylen (:CH2), ist der Triplettzustand um ca. 9 kcal/mol stabiler als der Singulettzustand.6 Elektronendonor-Substituenten (N, O, Hal) führen bei Carbenen :CR2 im elektronischen Grundzustand zu einer Präferenz des Singulettzustandes. Ursache ist ein Elektronendichtetransfer aus den besetzten p-Orbitalen der benachbarten Heteroatome, der zu einer Erhöhung der Energie des Carben-pπ-Orbitals führt. Diese Erhöhung der Energiedifferenz zwischen σ- und pπ-Orbital führt zur Begünstigung der Singulett-Konfiguration…