Bei der Lagerstättenerkundung und Erdölförderung sind Kenntnisse über die Strömungssituation im Untergrund von entscheidender Bedeutung. An Störungszonen können die Strömungsvorgänge z.B. durch Eintrag von Ton („Clay Smear“) behindert werden. Zur Beurteilung des Clay Smears existieren verschiedene Ansätze, die die Mächtigkeit der Ausgangstonschichten und den Versatz in der Störungszone berücksichtigen (z.B. Shale Gouge Ratio – SGR). Anhand von Grenzwerten wird dann abgeschätzt, ob der Ton in der Störungszone abdichtend wirkt oder nicht. Wichtige Einflussparameter wie die Scherfestigkeitseigenschaften der Materialien und das Spannungsniveau werden bei den bestehenden Ansätzen jedoch nicht berücksichtigt.
In einem interdisziplinären Forschungsprojekt werden an der RWTH Aachen von dem Lehrstuhl für Geotechnik im Bauwesen und Institut für Grundbau, Bodenmechanik, Felsmechanik und Verkehrswasserbau (GiB) und dem Institut für Geologie – Endogene Dynamik (GED) die Ansätze Feldarbeit, Sandboxlaborversuche und Numerik miteinander verknüpft, um zu untersuchen, wie und unter welchen Bedingungen Ton in die Störungszone eingeschleppt wird. In der vorliegenden Arbeit werden die Ergebnisse der numerischen Untersuchungen vorgestellt.
Zunächst wird die freie Lokalisierung in dem numerischen Modell „Homogene Extension“ untersucht. Durch die Extension der beiden Seiten eines Rechteckmodells wird ausgehend von einer Schwachstelle in der Mitte des Modells eine Scherfuge erzeugt. Somit kann z.B. der sich frei einstellende Neigungswinkel untersucht werden. Es stellt sich heraus, dass die numerische Scherfugenneigung sehr gut zu bestehenden analytischen Modellen passt. Neben der Scherfugenneigung kann untersucht werden, wie sich der Relativversatz entlang der Scherfuge einstellt. Im Scherfugenzentrum ist der Relativversatz am größten und nimmt zu den Scherfugenenden ab. Die charakteristischen Kurven des Relativversatzes entlang der Scherfuge fallen bei einer Normierung auf den maximalen Relativversatz und auf die Scherfugenlänge genau zusammen. Dabei ist die Steigung im Scherfugenzentrum sehr groß. Sobald allerdings die Scherfuge vom Modellrand beeinflusst wird, verändert sich die Charakteristik der Kurven und der Relativversatz nimmt schließlich vom Scherfugenzentrum zum Scherfugenende etwa linear ab. Dieser Verlauf stimmt mit eigenen Felduntersuchungen aus Miri (Malaysia) und aus Literaturangaben (Muraoka & Kamata 1983) überein. Somit führen die Ergebnisse zu der Annahme, dass in der Natur Inhomogenitäten und Schichtwechsel das Scherfugenwachstum in gleicher Weise beeinflussen. Auch die Darstellung des maximalen Relativversatzes Dmax über die Scherfugenlänge L führt zu dieser Schlussfolgerung. In geschichteten Modellen mit Sand-Ton-Sand-Wechselfolgen kann gezeigt werden, dass die Entwicklungsgeschichte der Scherfugen darauf Einfluss nimmt, ob es am Schichtenübergang zu einem Richtungswechsel kommt oder nicht. Wenn die Scherfuge von einer Seite durch die Tonschicht hindurch zur anderen Seite wächst, vollzieht sie einen Richtungswechsel. Wenn sie hingegen von außen in die Tonschicht wächst, dominiert die Richtung der äußeren Schicht die gesamte Scherfugenneigung und es entsteht kein Richtungswechsel. Somit könnte aus den Scherfugenrichtungen in Felduntersuchungen auf die Entwicklungsreihenfolge der Scherfugen geschlossen werden.
Darüber hinaus werden Sandboxversuche mit reinem Sand ohne Tonschicht numerisch berechnet. Mit diesem Modell können die sich einstellenden Scherfugenstrukturen untersucht werden und zusätzlich bietet die Modellierung des Sandboxlaborversuchs mit reinem Sand ohne Tonschicht, die Möglichkeit, die Sandparameter zu kalibrieren, die auch bei den späteren Berechnungen mit Tonschicht zum Einsatz kommen. Die Untersuchung der Sandboxstrukturen führt zu dem Ergebnis, dass der Abschiebewinkel der Sandbox, die Dilatanz und der Scherfugenwinkel in der Sandbox die Scherfugenstruktur bestimmen.
Schließlich werden mit einem zweidimensionalen Modell die Sandboxlaborversuche mit einer Tonschicht nachgerechnet. Es zeigt sich, dass die Tonschicht innerhalb der Scherfuge dünner wird und sich Löcher bilden. Die Ausdünnung der Tonschicht stimmt gut mit Vermessungen der Tonschicht im Laborversuch an der Glasscheibe überein. Weitere Berechnungen werden durchgeführt, um die Einflussparameter auf die resultierende Tonschichtdicke innerhalb der Scherfuge zu ermitteln. Durch eine Variation der Toneigenschaften können Laborversuche aus der Literatur bestätigt werden, nach denen ein weniger scherfester Ton eher zur Bildung einer kontinuierlichen Tonschicht neigt und scherfesterer Ton eher aufreißt und Löcher bildet.
Aus den ermittelten Einflussfaktoren wird schließlich eine neue Berechnungsformel abgeleitet. Mit der Formel werden Grenzwerte für das SGR berechnet. SGR ist das Verhältnis der Ausgangstonschichtdicke zum Versatz in der Scherfuge. In die berechneten Grenzwerte gehen das Spannungsniveau, die Scherfestigkeit und der Einfluss der Kinematik auf die Spannungsentwicklung ein. Die entwickelte Gleichung basiert auf physikalischen Grundlagen, bietet aber gleichzeitig die Möglichkeit einer Kalibrierung anhand von Messdaten aus Laborversuchen und Felduntersuchungen. Eine solche Kalibrierung findet im Rahmen dieser Arbeit nicht statt.