Der Entwurf und die Optimierung komplexer chemischer Prozesse stellt eine zentrale Herausforderung der Verfahrenstechnik dar. Zum lösen dieser Herausforderung muss die Chemie des Prozeses verstanden werden, welche experimentell untersucht werden kann. Um einzelne chemische Reaktionen komplexer chemischer Prozesse aus Experimenten zu bestimmen muss der Reaktionsmechanismus invertiert werden, welcher dementsprechend bekannt sein muss. Die Lösung dieses inversen Problems ist mathematisch anspruchsvoll und oftmals ist der Reaktionsmechanismus neuer Stoffe nicht verfügbar. Sowohl das inverse Problem als auch das Problem mangelnder oder unvollständiger Reaktionsmechanismen wird in der vorliegenden Arbeit in einem Vorwärts-Ansatz umgangen bzw. gelöst.
In der hier vorgestellte Methodik werden reaktive Molekulardynamik Simulationen verwendet um die Chemie von Stoffen in der
Gas-Phase zu explorieren. Die dynamischen Simulationen erlauben dabei eine natürliche zeitliche Entwicklung des Systems, während dessen Bindungsbrüche und –entstehung anhand der Konnektivität der Atome bestimmt werden. Diese Änderungen der Konnektivität werden in Elementarreaktionen überführt, für welche die molekularen Strukturen von Reaktanden, Produkten und des Übergangszustandes direkt aus der Trajektorie extrahiert werden können. Auf Basis dieser Strukturen werden quantenmechanische Berechnungen durchgeführt, welche als Grundlage für die Vorhersage von Thermochemie und Kinetik dienen.
Diese neuartige Methodik wird zur Generierung eines ab initio Reaktionsmodells der Hochtemperatur Methan-Oxidation verwendet. Dieses ab initio Reaktionsmodell wird anhand von Referenzmodellen aus der Literatur validiert und ein durch die Simulationen neuentdeckter Reaktionspfad wird durch eine detailierte kinetische Untersuchung bestätigt.
Der Vergleich des hier berechneten ab initio Reaktionsmodells mit weitgehend akzeptierten Referenzmodellen zeigt anschaulich die Übereinstimmung zwischen der vorgelegten Arbeit und der Verbrennungs-Literatur. Durch diese Validierung wird das Potential des vorgestellten Vorwärts-Ansatzes demonstriert, welcher sich ausschlieslich auf Vorhersagemethoden stützt. Zudem kann ein zuvor nicht berücksichtigter Reaktionspfad durch die Simulationen identifiziert und durch eine detailierte Betrachtung der Kinetik erfolgreich bestätigt werden.
Es werden zwei mögliche Erweiterungen der vorgestellten Methodik zur Generierung von ab initio Reaktionsmodellen hergeleitet, diskutiert und deren Implementierung skizziert. Diese Erweiterungen zielen auf die Einbindung der Druckabhängigkeit von Reaktionen, welche durch die mikroskopische Bilanz von Reaktionsnetzwerken beschrieben werden kann. Die Überführung von Hochdruck-Reaktionsmodellen in druckabhängige Reaktionsmodelle kann auf Basis einer Transformation von kanonischen zu mikrokanonischen Eigenschaften stattfinden. Die selbe Transformation wird verwendet um Reaktionen zu beschreiben, welche über thermisch angeregte Zwischenprodukte laufen. Es ist geplant diese Erweiterungen in den hier vorgestellten Vorwärts-Ansatz einzubinden, um so noch genauere ab initio Reaktionsmodelle zu erhalten.
Die vorgelegte Arbeit beschäftigt sich mit der wachsenden Nachfrage nach Reaktionsmodellen für neuartige Chemikalien und liefert eine Methodik um deren Chemie zu erkunden und zu quantifizieren. Die Übereinstimmung von Reaktionspfaden und Kinetiken mit der Literatur zeigt das hohe Potential der Trajektorien-basierten Erkundung von Reaktionsnetzwerken für die Entwicklung quantitativer Reaktionsmodelle.